Kultur

Die Verwendung des Begriffs "Kultur" hat vielfache historische,  soziologische u.a. Traditionen und erfordert eine disziplinübergreifende Betrachtung. Als Lehrpersonen ist es daher wichtig, diesen Begriff bewusst zu verwenden und für sich zu klären. Ausschlaggebend dabei bleibt, dass eine Lehrperson Vorbildfunktion besitzt und von daher absolut diese Begrifflichkeiten kritisch refektieren sollte, ehe sie mit Erziehung und Schulbildung der Kinder beginnt. Ich beziehe mich hier in dem Erklärungsversuch auf das Buch "Einführung in die Interkulturelle Pädagogik" von Ingrid Gogolin und Marianne Krüger-Potratz, 2010: 109-134.

"Der Begriff Kultur wurde zunächst nicht groß verhandelt und bedacht, sondern auch im pädagogischen Wissenschaftsdiskurs in einem geläufigen alltagssprachlichen Verständnis aufgegriffen. Kultur wurde zunächst als 'Nationalkultur' verstanden. (...) In diesem Begriffsgebrauch wird der einzelne Mensch als 'Kulturträger' als Vertreter der im Nationalen liegenden tradierten Merkmale bzw. Eigenschaften und Produkte seines Herkunftlandes. (...) Diese unreflektierten Bezugnahmen auf 'Kultur' wurden später als 'kulturalisierende' Zugriffsweisen bezeichnet (...). Unter 'Kulturalisierung' wird eine Essentialisierung von Differenz verstanden, also die Konstruktion und Zuschreibung von verallgemeinerten kulturellen Ausdrucksformen zu Merkmalen und Eigenschaften eines jeden Individuums der entsprechenden Herkunft."

In Folge wurde versucht, Kulturalisierung zu vermeiden und ein differenziertes Verständnis des Kulturbegriffs erreicht. "Nach diesem Verständnis dient 'Kultur' als Orientierungs- und Deutungsmatrix für die Mitglieder der Gesellschaft. Sie fungiert als 'Geflecht von Bedeutungen, in denen Menschen ihre Erfahrungen interpretieren und nach denen sie ihr Handeln ausrichten' (Geertz 1983: 99). Dabei wird sie nicht als statisch, sondern dynamisch beschrieben; nicht als homogen, sondern als heterogen; (...)."

In den 50ger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelten sich dann anthropologische Ansätze, die 'kulturtranszendendierende' Merkmale aufweisen. Von manchen wird sie auch als 'transkulturelle Pädagogik' bezeichnet. "Pädagogisches Handeln zieht nach dieser Vorstellung auf die Bildung des Individuums zu 'Autonomie' und 'Autarkie' (...), denn diese seien die universellen Grundlagen der Fähigkeit zu verantwortlichem gesellschaftlichen Handeln (...)."

Kritisiert wird an diesem Ansatz, dass "der Begegnung und dem Dialog eine beinah magische Kraft" zugeschrieben wird. "Ausgeblendet bleibe das Faktum, dass jede soziale Wirklichkeit gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse beinhalte, (...)". Daraus entstanden sind Ansätze, die eher gesellschafttheoretisch orientiert und fundiert sind.  "Ihr Erkenntnisinteresse ist es, den Mechanismen auf die Spur zu kommen, die dafür sorgen, dass Kulturen und ihre Ausdrucksformen faktisch nicht gleichberechtigt sind. (...) Inspirierend für diese Perspektive waren u.a. die in England verbreiteten Ansätze von 'Anti-Racist Poltics' oder 'Education' (vgl. Hall/Hobson/Lowe/Willis [Hg.] 1980). Hier wurde bereits intenisver (...) die Frage nach den Mechanismen gestellt, die in ethnisch, kulturell und sprachlich heterogenen Gesellschaften zu Ungleichberechtigung führen, obschon die gesellschaftlichen Statuten z.B. die Staatsverfassung, Gleichberechtigung im Sinne gleichen Zugangs zu gesellschaftlichen Gütern proklamieren."

"Aus dieser Perspektive wird der Kulturbegriff also konstruktivistisch aufgegriffen (vgl. Nassehi 1997). Leitend ist hier nicht, was 'Kultur' sei, sondern es geht um die Prüfung der Folgen einer Bewertung von Phänomenen als 'kulturbedingt'.

"Von der postmodernen Philosophie inspierierte Ansätze": Sie fragen sich, ob es denn überhaupt nötig sei, 'Pluralität an Einheit rückzukoppeln' (Ruhloff1009: 33)."

"Soziologisch argumentierende Ansätze": Diese postulieren, dass "nicht ethnische, kulturelle oder sprachliche Differenzen verantwortlich [seien] für gesellschaftliche Ungleichberechtigung, sonder sozialstrukturelle und poltisch-rechtliche Faktoren. Die Thematisierung ethnischer, kultureller oder sprachlicher Unterschiede beim Versuch der Klärung von Benachteiligungen sei vor allem das Ergebnis von Zuschreibungsprozessen, die die Funktion besäßen, gesellschaftliche Ausgrenzungen entweder vorab oder im Nachhinein zu legitimieren (...)." (...)

Gefragt wird hier nach den Merkmalen der gesellschaftlichen Subsysteme, insbesondere dem Bildungswesen oder anderer Subsysteme, "die dafür verantwortlich seien, dass Menschen nach ihrer Herkunft unterschieden werden und ihnen eine Position in der Gesellschaft zugewiesen wird. (...) Dies sei nicht zuletzt die Folge dessen, dass Institutionen notwendigerweise daran arbeiten, sich selbst zu erhalten. Es gehört daher geradezu zu ihren 'Bestimmungen' dafür zu sorgen, dass ihre Aufgabe, und damit ihre Klientel, ihnen erhalten bleibt. Dieses Interesse an der Selbsterhaltung des Systems wirke sich" gravierend auf die Verteilung der SChülerInnen auf unterschiedliche Schulformen mit Bildungsabschlüssen von unterschiedlichem Wert aus", (Statistiken der ASTAT, also landesbezogene Daten, bestätigen, dass die Mehrheit der Kinder mit Migrationshintergrund eine Berufsschule besuchen, dabei ist der Prozentsatz an den italienischsprachigen Schulen um ein Vielfaches höher als in den deutschsprachigen bzw. ladinischsprachigen Berufsschulen). "Aus 'pädagogischen Rücksichten' - z.B. dem Interesse des Schutzes der Kinder vor 'Überforderung' - sei die Empfehlung einer Bildungslaufbahn von minderer Anforderung geboten."

Neuere kultursoziologisch fundierte Ansätze besagen, dass "kulturelle Zugehörigkeit oder Erfahrung des einzelnen Menschen nicht sein ganzes Leben oder seine komplette Persönlichkeit [bestimmen]. Sie ist vielmehr für Augenblicke der Existenz entscheidend. " (...)

"Gefragt wird nach den im ERziehungs- und Bildungssystem erhalten gebliebenen Spuren der Vergangenheit, die heute noch an der Gestaltung gültiger Normalitätskonzepte mitwirken - also etwa der Vorstellung darüber, was einen 'normalen Schüler' auszeichnet, was eine 'normale Leistung' ist, (...).

"Die ursprüngliche Perspektive der Entwicklung einer Zielgruppenpädagogik, gerichtet auf das 'Fremde' oder 'die Fremden', die im bilungspolitischen und praktischen Diskurs nach wie vor eine große Rolle spielt, ist in wissenchaftlichen Arbeiten überholt."

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